Meine ersten Erfahrungen mit den Binnengewaessern


Es war im Jahre, im Jahre.. ach ich weiß es nicht mehr so genau. Doch, jetzt fällt es mir wieder ein. Es war das Jahr nach der Großen Flaute, da die Schiffahrt auf den Zamonischen Meeren fast zum erliegen gekommen wäre. Erinnert ihr Euch noch, als die Ruderindustrie den großen Auschwung erlebte? Aber wie gesagt, es war das Jahr danach, die Winde wehten wieder, und wir Zwergpiraten waren glücklich. Ich war damals noch jung und ungestüm und nach der langen Ruhepause drang es mich nach neuen Abenteuern. Nach neuen Gefahren. So hing ich im Hafen von Atlantis herum, und wartete auf ein Schiff mit Gleichgesinnten, todesmutigen jungen Zwergpiraten, die  kein Risiko scheuten, sondern im Gegenteil die Gefahr suchten. Und ich war wahrhaftig nicht allein mit diesem Wunsch, nach der langen Zeit der Entbehrung von Wind und Wellen, drängte es viele wieder hinaus auf die Meere. Doch nichts erschien mir wirklich reizvoll, kein Ziel gefährlich genug. Hatte ich doch selbst den Malmstrom schon mehrere Male befahren.

Aber eines Tages sollte sich mein Schicksal wenden. Ich saß mal wieder in einer der vielen Hafentavernen, ich glaube es war der Versunkene Anker, eine verrauchte, dunkle Spelunke in der sich manch merkwürdige Gestalten rumtrieben (und das wollte in Atlantis schon was heißen), als mich von hinten jemand ansprach. Automatisch blickte ich nach oben, da meine Gesprächspartner naturgemäß meist größer sind als ich, da sah ich, schon in verhältnismäßig geringem Abstand, ein Gesicht auf mich herabblicken, welches mich auf undurchdringliche Weise angrinste: Du suchst Abenteuer? Willst Dinge sehen, die noch kein Zwergpirat vor dir sah, Gefahren erleben, die dich wieder lehren was Angst bedeutet? Begierig nickte ich. Sollte diese häßliche Gestalt dort oben mir etwa helfen können? Ich weiß was du wünschst, und wie du es dir erfüllen kannst, fuhr die Kreatur fort. Verlasse die Meere, und begib dich auf die Binnengewässer. Die Binnengewässer??? Das sollte der Schlüssel zu neuen Abenteuern sein? Waren denn die Seen nicht ruhige Gewässer, deren Wellen nie auch nur entfernt an die der Meere heranreichen konnten? Enttäuscht wollte ich mich abwenden, der Kerl hatte mich zum Narren gehalten. Bei genauerem Betrachten hatte er auch deutlich Ähnlichkeit mit einem Stollentroll. Doch er hielt mich zurück. Wellen? Du suchst Wellen? Dann geh zurück aufs Meer. Dort findest du Wellen in allen Formen und Größen. Aber ich dachte du suchst etwas Neues, nie gesehenes? Aber wenn du meinen Rat nicht willst, ich muß Dir ja nicht helfen. Pah, ich muß überhaupt niemanden helfen. Helfen ist gegen meine Natur, aber da will ich einmal nett sein, und was ist? Ich werde abgewiesen. ... Und so weiter, und so weiter. Er verfiel in eine Jammertirade, die mir bestätigte, daß ich es mit einem Stollentroll zu tun hatte. Alle meine Versuche ihn zu beschwichtigen (Er hatte mich doch neugierig gemacht. Andere Herausforderungen als noch größer, schönere Wellen. Was gab es denn noch, daß einen Segler reizen konnte) scheiterten, und so ließ ich ihn stehen, und begab mich in eine andere Taverne. Ich wollte die Begegnung eigentlich schnell wieder vergessen, doch ging mir der verdammte Troll nicht mehr aus dem Kopf. Von was für Gefahren, was für Abenteuern hatte er gesprochen? Ich versuchte ihn noch einmal ausfindig zu machen, durchsuchte jede Taverne im Hafen, doch er blieb verschwunden. Als ich meine Suche gerade aufgeben wollte, ich saß in der Sonne und rauchte etwas Algentabak, hörte ich wie hinter mir ein paar Stimmen laut wurden: Na und, warum sollte er uns angelogen haben - Weil er ein Stollentroll war, die lügen naturgemäß. Gefahren auf Binnenwassern, hat man sowas schon gehört. - Warum nicht, kennst du auch nur einen Zwergpiraten der schon da war? Nein! Und warum nicht? Weil sich niemand hintraut. - So ein Blödsinn. Nicht trauen. Die haben doch höchstens alle Angst vor Langeweile umzukommen, weil nichts los ist da draußen. - Wir könnten doch wenigstens mal einen kleinen Törn machen, nur mal ein Stück in einen Fluß hinein. Wenn es nix ist, kehren wir wieder um. - Quatsch ich werde doch meine Zeit nicht mit so einem Unfug vergeuden. Wegen einem Stollentroll.... Langsam entfernten sich die Stimmen wieder. Und noch ehe ich richtig begriff was da eigentlich vorging war ich auch schon auf den Beinen und rannte hinter ihnen her. Schon bald stellten wir fest, daß wir an den gleichen Troll geraten waren, und nach einigem Hin und Her beschlossen wir wenigstens einen kurzen Törn zu machen, um zu sehen was denn nun dran war, am Mythos der Binnenwasser. Gesagt getan, Torpell und Pawaal, meine beiden neuen Freunde, hatten sogar ein eigens Boot, und so stachen wir am nächsten Tag in See. Beim Ablegen war mir noch, als hörte ich ein leises, verschlagenes Kähähä hinter uns her hallen, doch wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet

So fuhren wir an der Zamonischen Küste entlang gen Süden, bis wir ein Rauschen vernahmen, das nach und nach lauter wurde, und von einer zunehmenden Strömung begleitet wurde, gegen die wir nach geübter Manier anfuhren. So erreichten wir nach etwa drei Tagen die Mündung eines gewaltigen Flusses. (Böszüngige Neider, denen wir später von unserer Erlebnissen berichteten, meinten, es sei nur ein kleiner Bach gewesen, doch damals erschien er uns wirklich riesig!) Wir staunten ob der unglaublichen Wassermassen, die sich dort ins Meer ergossen und brauchten dann auch bald drei weitere Tage, um vom Meer in den Fluß zu gelangen. Meter für Meter kämpft wir gegen die Strömung an. Und es war wirklich ein Vergnügen! Stromschnellen, Steine und andere Hindernisse ließen unsere Herzen höher hüpfen. Bis wir schließlich an eine scheinbar unüberwindbare Hürde kamen. Was war denn das? Das Wasser kamen uns nicht mehr entgegen geflossen, sondern viel steil vom Himmel herab. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Heute weiß ich natürlich, was ein Wasserfall ist, habe ich doch schon viele von ihnen rauf und runter befahren, doch begegneten wir damals alle drei zum ersten mal diesem Phänomen. Pawaal, der schon von Anfang an gegen die Fahrt gewesen war, wollte gleich aufgeben und umkehren, doch Torpell und ich ließen uns nicht so leicht ins Boxhorn jagen. Pah, dies hier war Wasser und Strömung, vielleicht mit einer ungewöhnlichen Richtung, aber prinzipiell nichts Neues. Wir fühlten uns bei unserer Zwergpiraten-Ehre gepackt, und hatten auch schon bald einen Plan. Mit Seilen banden Torpell und ich uns von außen ans Boot, während Pawaal drinnen das letzte horizontale Stück alleine segelte, unter dem Wasserfall durch, bis an die steile Wand. Und dann begannen wir zu klettern. Mit unseren Enterhaken (Zwergpiraten haben ja keine Hände, sondern Haken, wie ihr sicher alle noch wißt) nutzen wir jede Ritze und jeden Spalt, und arbeiteten uns so Zentimeter für Zentimeter nach oben. Endlich erreichten wir unser Ziel, da hatte Torpell, von unserem Erfolg übermütig geworden, die Idee, den Fall auch wieder runter zu segeln. Das war ein Spaß! Senkrecht stürzten wir in die Tiefe, nutzen den Gegenwind für gewagte Manöver, ließen uns von ihm sogar wieder ein Stück in die Höhe tragen. Nach und nach bekamen wir den Dreh raus, sausten wir im Wasserfall rauf und runter, verharrten mitten im Fluß, ließen uns nach unten ziehen, und nutzen die spritzende Gischt, um uns von Tropfen zu Tropfen wieder nach oben zu hangeln. Nein, der Stollentroll hatte (ausnahmsweise) nicht zu viel versprochen, so etwas hatte noch keiner von uns erlebt. Nach einigen Wochen wurde uns der Wasserfall aber doch langweilig und wir beschlossen weiter zu ziehen. Nach und nach wurde das Wasser ruhiger, und der Fluß schmaler. Immer näher rückte das Ufer, und wir betrachteten neugierig unsere Umgebung. Auch dies gab es auf dem Meer nicht. Das sich ständig ändernde Panorama der vorbeiziehenden Landschaft. Doch was war das? Was raschelte da durch die Büsche? Riesige Augen starrten uns durch die Zweige an. Nachts spiegelten sich gewaltige Schatten auf der Wasserfläche. Unbekanntes Rauschen, Zirpen, Zischeln, Kreischen. Wilde Tiere mit Klauen, Reißzähnen und wahrscheinlich großem Hunger tummelten sich überall am Ufer. Konnten sie schwimmen? Fraßen sie gerne kleine Zwergpiraten? Ängstlich hielten... Ängstlich?? Zwergpiraten und ängstlich? So ein Quatsch. Also sagen wir mal , hmm,  risikobewußt hielten wir uns in der Mitte des Flußes auf, und zum ersten mal wünschten auch Torpell und ich uns wieder zurück ins weite Meer.

Also, so schön das segeln auf dem Fluß war, die Gefahren, die vom Ufer ausgingen, konnten nicht durch seemännisches Können bezwungen werden und so langsam wurde uns klar, warum uns der Stollentroll hier her geschickt hatte. Hätten wir uns doch bloß nicht von ihm verleiten lassen! Wären wir doch nur wieder auf dem Meer! Da schien sich unser Wunsch mit einemmal zu erfüllen. Der Fluß wurde breiter, und ergoß sich in eine weite Wasserfläche. Das Ufer rückte in weite Ferne, und zum ersten mal seit langer Zeit konnten wir wieder frei und entspannt segeln. Doch war das Wasser seltsam ruhig, und in der Ferne konnten wir immer noch Ufer erkennen. Langsam dämmerte es uns, daß wir nicht im Meer, sondern auf einem See gelandet waren. Aber nun gut, Hauptsache weg von dem unheimlichen Ufer. Wir dümpelten also gemütlich über den See, als plötzlich das Wasser erbebte. Der ganze See schien zu zittern. Da, wieder und wieder. Begleitet wurde das Seebeben von einem ohrenbetäubenden Platschen. Und es schien sich auf uns zu zu bewegen. Das Beben wurde stärker, das Platschen lauter. Wir blickten in alle Richtungen, um die Ursache ausfindig zu machen, und da sahen wir es, bzw. sie. Riesige sechsbeinige Monster kamen auf uns zu gestürmt. Ja, sie liefen tatsächlich über das Wasser ohne dabei einzusinken. Platsch, Platsch, Platsch immer näher kamen sie. Zu fliehen war völlig sinnlos, viel zu schnell bewegten sich die Riesen auf uns zu. Endlich erreichten sie uns, und nahmen um uns herum Stellung auf. Torpell zählte später 23, und wir waren ihnen völlig ausgeliefert. Da donnerte eine markerschütternde Stimme über den See: Die Wasserflöhe vom Nordufer nach rechts, die Wasserflöhe vom Südufer nach links. Die Regeln sind bekannt? Der Ball muß auf das Seerosenblatt, nicht in die Blüte. Fouls jeglicher Art sind verboten, Beinchen-Stellen wird mit sofortiger Disqualifikation bestraft. So, und jetzt will ich ein faires Spiel sehen. - Ein schriller Pfiff ertönte, und schon flogen wir im hohen Bogen in die Luft. Wasserfloh-Fußball! Wasserflöhe sind fanatische Fußballspieler. Selbst in kleinsten Tümpel gibt es manchmal fünfzehn, zwanzig verschiedene Vereine. Haben Wasserflöhe erst mal ein kleines Objekt entdeckt, daß sich als Ball eignet (es muß nicht unbedingt rund sein) können sie damit stunden-, ach was tagelang spielen, bis es endgültig zu Bruch geht. Unser Schicksal schien besiegelt. Wir flogen hin und her, rauf und runter, landeten kaum mal auf dem Wasser, sondern wurden gleich wieder in die Lüfte befördert. Nach fünf Minuten hingen wir alle drei (gestanden Zwergpiraten) über der Reling und kotzen uns die Seele aus dem Leib. Ab und zu ertönten TOR-Rufe, aber viel mehr nahmen wir nicht mehr wahr. Mühsam versuchten wir uns am Boot festzuhalten, als plötzlich wieder ein Pfiff ertönte. Und dann brach eine ohrenbetäubende Diskussion aus: Aus, der war aus - Nein war er nicht - Ich habs doch genau gesehen - Nichts hast du gesehen, du warst doch viel zu weit weg - Ich bin hier der Schiedsrichter, und wenn ich sage der war aus, dann war der aus - Dann sollten wir uns vielleicht mal nen neuen Schiedsrichter besorgen - Ach ja, beschwer dich doch bei der Spielleitung ... Eine einmalige Chance. Wir holten tief Luft, setzten die Segel und los. Im Slalom um die vielen Beine herum. Zunächst merkten die Wasserflöhe gar nicht, daß sich ihr Ball selbständig gemacht hatte, doch dann begann die Verfolgungsjagd. Aber sie hatten die Rechnung ohne die hohen nautischen Künste von Zwergpiraten gemacht. Wir schlugen Haken, vollführten nautische Vollbremsungen, tauchten unter ihnen durch, führten sie im Kreise, bis ihnen schlecht wurde, und fanden schließlich unseren Weg zurück auf den Fluß. Doch auch das konnte die Wasserflöhe nicht stoppen. Weiterhin blieben sie uns dicht auf den Fersen. Immer näher und näher kamen sie. Ließen sich von unseren Tricks immer seltener täuschen. Schon glaubten wir uns verloren, als wir plötzlich das altvertraute Rauschen unseres Wasserfalls hörten. Freudig ließen wir uns in die Tiefe reißen, verharrten einen Moment in der Mitte, um uns zu vergewissern, daß uns die Wasserflöhe nicht folgten. Neugierig arbeiteten wir uns noch einmal nach oben, und lugten über die Kante. Und da saßen sie alle, in sicherer Entfernung und sah drohend zu uns herüber, wütend, daß wir ihnen ihr Spiel verdorben hatten. Da sie aber einsahen, daß sie uns nicht erreichen konnten, begaben sie sich schließlich murrend und fluchend auf den Rückweg zum See. Wir hingegen ließen uns gemütlich den Fall heruntergleiten und segelten wieder Richtung Meer zurück. Da wir nun mit der Strömung fuhren, stieg uns auch schon bald der Geruch von Salzwasser in die Nase und schließlich fanden wir uns auf dem offenen Meer wieder. Und die Moral von der Geschicht, traue einem Stollentroll nicht? Naja, das ist ja eigentlich nix Neues, und außerdem hatten wir ja auch verdammt viel Spaß dabei. Und waren nicht Gefahren und Abenteuer genau das was wir wollten? Doch, und darum muß hier ausnahmsweise mal einem Stollentroll  gedankt werden. Auch wenn er da wahrscheinlich gar nicht gern hört. Kähähähä